Zivilcourage

Hier finden Sie Informationen zu den Zielen und den Ergebnissen meiner Diplomarbeit „Auswirkung von moralthematischem Kontext, sozialem Geschlecht und Angstbewältigungsstrategien auf die Bereitschaft zu zivilcouragiertem Handeln“. Daneben biete ich folgende Dateien zum Download (zum Öffnen benötigen Sie einen PDF-Reader)

Publikation

Meine Diplomarbeit wurde in überarbeiteter Form unter dem Titel „Zivilcourage bei Jugendlichen“ als Buch veröffentlicht. Verbessert wurde vor allem die Darstellung der statistischen Auswertungen, aber es wurden auch einige Fehler korrigiert.

Inhaltsangabe

Wie reagieren Jugendliche in Zivilcouragesituationen? Wovon hängt es ab, ob Jugendliche in Zivilcouragesituationen beherzt eingreifen? Zwar betont die Forschung zu Gewalt und Mobbing in der Schule immer wieder, welche positiven Auswirkungen zivilcouragiertes Handeln zur Etablierung einer gewaltfreien Schule hat, und sogar außerhalb der Schule zeigen Aktionen wie Arsch huh Zäng ussenander (eine Aktion der Kölner Polizei), dass zivilcouragiertes Handeln als probates Gewaltpräventionsmittel angesehen wird. Trotzdem existieren vergleichsweise wenige Studien, die sich mit Zivilcourage beschäftigen, und in diesen werden meistens nur Erwachsene untersucht. Daher wurden in dieser Arbeit einige Bedingungen (Moralthematik der Situation, soziales Geschlecht sowie Angstbewältigungsstrategien der Eingreifenden) für zivilcouragiertes Handeln bei Jugendlichen genauer unter die Lupe genommen. Das Buch richtet sich an Studierende der Sozialwissenschaften, an Forscher/innen in den Bereichen Zivilcourage und Gender sowie an alle Menschen, die beruflich und/oder privat an diesem Thema interessiert sind.

Zusammenfassung

Die Diplomarbeit war im Forschungsbereich „Zivilcourage“ angesiedelt und sollte zwei Fragen beantworten helfen: (1) Wie reagieren Jugendliche in Zivilcouragesituationen? und (2) Wovon hängt es ab, ob ein/e Jugendliche/r in einer Zivilcouragesituation beherzt eingreift? Beide Fragen sind im Alltag von großem Interesse: Für den Schulalltag bspw. betont die Forschung zu „Gewalt und Mobbing in der Schule“ immer wieder, welche positiven Auswirkungen zivilcouragiertes Handeln zur Etablierung einer gewaltfreien Schule hat. Aber auch außerhalb der Schule zeigen Aktionen wie bspw. „Arsch huh – Zäng ussenander“ (eine Aktion der Kölner Polizei), dass zivilcouragiertes Handeln als probates Gewaltpräventionsmittel angesehen wird. Trotz dieser Relevanz für die Gesellschaft existieren vergleichsweise wenige Untersuchungen, die sich mit Zivilcourage beschäftigen. Hinzu kommt, dass bisher fast ausschließlich Erwachsene untersucht wurden, sodass die gefundenen Ergebnisse nicht unbedingt Geltung für Jugendliche beanspruchen können. Daher erschien es lohnenswert, einige Bedingungen für zivilcouragiertes Handeln bei Jugendlichen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Diese Überlegungen warfen die Frage auf, welche Bedingungen denn untersucht werden sollen. Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Moralpsychologie ließen vermuten, dass die Moralthematik einer Situation in Zusammenwirkung mit dem sozialen Geschlecht einer Person zu Unterschieden beim zivilcouragierten Handeln führen könnte. Um den Begriff „Moralthematik“ verstehen zu können, muss man wissen, dass in der Moralpsychologie zwischen zwei moralischen Orientierungen unterschieden wird: der Gerechtigkeitsorientierung und der Fürsorgeorientierung. Am besten lässt sich der Unterschied durch die Stachelschwein-Fabel in der Fassung von Nunner-Winkler (1994, zit. n. Scheele & Kapp, 2002) illustrieren:

„Den ganzen Sommer über haben die Maulwürfe Gänge und Höhlen gegraben; das Stachelschwein sonnte sich derweilen. Der Winter brach an. Das Stachelschwein fror erbärmlich und erbat Aufnahme in den unterirdischen Bau. Die Maulwürfe ließen es ein. Es war aber sehr eng, und alle mussten sich dicht zusammendrängen. Das Stachelschwein aber stach. ‚Was tun?‘ Die ‚gerechte‘ Antwort lautete: ‚Wer nicht mitgegraben hat, der hat keinen Anspruch auf einen Platz, wenn dieser knapp ist.‘ Die ‚fürsorgliche‘ Antwort lautete: ‚Bei der Kälte können wir das Stachelschwein nicht rauswerfen. Wir legen ihm eine Decke um, dann sticht sich keiner mehr an ihm.'“ (S. 29)

Die moralische Orientierung kann man sich vorstellen als eine Art Brille, die über die Wahrnehmung einer Konfliktsituation entscheidet: Personen, die gerechtigkeitsorientiert sozialisiert wurden, reagieren betroffen eher auf Verstöße gegen das Gerechtigkeitsprinzip, Personen mit Fürsorgesozialisierung eher auf Verstöße gegen das Fürsorgeprinzip. Der vermutete Zusammenhang zwischen Zivilcourage und Moralorientierung wird dadurch verkompliziert, dass die Moralorientierung einer Person möglicherweise von ihrem sozialen Geschlecht abhängt: Es wird vermutet, dass feminin sozialisierte Personen eher fürsorgeorientiert sind, während maskulin sozialisierte Personen eher gerechtigkeitsorientiert sind. „Maskulin“ bedeutet dabei, dass eine Person Eigenschaften aufweist, die einem „typischen“ Mann zugeschrieben werden: Unabhängigkeit, Dominanz, Selbstständigkeit, Ehrgeiz, Zielstrebigkeit, Rationalität und Willensstärke. „Feminin“ hingegen nennt man eine Person, wenn sie die Eigenschaften aufweist, die einer „typischen“ Frau zugeschrieben werden: Abhängigkeit, Sanftheit, Anlehnungsbedürftigkeit, Verständnisfülle, Gesprächigkeit, Emotionalität und Warmherzigkeit. Neben dem sozialen Geschlecht und der Moralthematik erschien der „Umgang mit angsterregenden Situationen“ eine untersuchenswerte Bedingung für zivilcouragiertes Handeln zu sein, denn Zivilcouragesituationen erfordern nach Szagun (1990, zit. n. Scheele, 1999) „folgende psychologische Merkmale […]: die Überwindung von Angst, das Eingehen eines Risikos sowie das subjektive Bewusstsein in Bezug auf das Risiko“ (S. 46). Es wäre daher zu erwarten, dass (sozial) wenig ängstliche Menschen ihre Ängste bzw. ihre innere Hemmschwelle leichter überwinden und somit eher eingreifen, als (sozial) ängstliche Menschen.

Aus diesen Vermutungen wurde folgende Forschungsfrage abgeleitet: Hat die Moralthematik einer Zivilcouragesituation, das soziale Geschlecht eines/r Jugendlichen und seine/ ihre typische Art des Umgangs mit angsterregenden Situationen eine Auswirkung auf seine/ ihre Bereitschaft zu zivilcouragiertem Handeln? Zur Beantwortung dieser Frage wurde das „soziale Geschlecht“ mit dem GEPAQ-Fragebogen in Form der Variablen „Maskulinität“ und „Femininität“ operationalisiert, die „Art des Umgangs mit angsterregenden Situationen“ mit dem ABI-Fragebogen in Form der Variablen „Vigilanz“ und „Kognitive Vermeidung“ und die „Moralthematik“ der Situation mit eigens konstruierten Szenarien in Form der Variablen „Fürsorgeszenario“ und „Gerechtigkeitsszenario“. Insgesamt drei Hypothesen wurden geprüft: (1) ob die Bereitschaft zu zivilcouragiertem Handeln steigt, wenn bei einer Person die Persönlichkeitsmerkmale „Kognitive Vermeidung“ und „Vigilanz“ niedrig ausgeprägt sind, (2) ob die Bereitschaft steigt, wenn „Femininität“ hoch und „Maskulinität“ niedrig ausgeprägt sind und (3) ob die Bereitschaft in Konfliktsituationen mit gerechtigkeitsthematischen Moraldilemmata steigt, wenn das Persönlichkeitsmerkmal „Maskulinität“ hoch ausgeprägt ist. Die erste Hypothese sollte dabei prüfen, ob (sozial) wenig ängstliche Menschen ihre Ängste bzw. ihre innere Hemmschwelle leichter überwinden und somit eher eingreifen. Die zweite Hypothese sollte prüfen, ob die Fürsorgeorientierung den Aufbau einer Hilfsabsicht fördert. Die dritte Hypothese sollte prüfen, ob die Maskulinität und die mit ihr verbundene Gerechtigkeitsorientierung das Eingreifen in Situationen mit Gerechtigkeitsverstößen fördert.

Die Hypothesen konnten nicht bestätigt werden. Explorative Datenanalysen weisen aber darauf hin, dass die Variablen „Kognitive Vermeidung“, „Femininität“ und insbesondere „Maskulinität“ möglicherweise einen von einander unabhängigen Einfluss auf zivilcouragiertes Handeln ausüben. Dies müsste allerdings in einer Folgeuntersuchung geprüft werden.

Literatur:

Mohseni, R. (2004). Auswirkung von moralthematischem Kontext, sozialem Geschlecht und Angstbewältigungsstrategien auf die Bereitschaft zu zivilcouragiertem Handeln: Eine empirische Untersuchung [On-line PDF]. Verfügbar unter: Hinweispfeilhttp://psydok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2005/508/ [14.07.2005].

Scheele, B. (1999). Zivilcourage. In A. Kämmerer & A. Speck (Hrsg.), Geschlecht und Moral (S. 45-69). Heidelberg : Das Wunderhorn.

Scheele, B. & Kapp, F. (2002). Utopie Zivilcourage. Kölner Psychologische Studien, VII, 1-59.